„An Evening with Sigur Rós“…
…stand auf der
Eintrittskarte für das Konzert der Nordländer im Wiener Gasometer. Und obwohl dieser Satz an sich noch nichts Außergewöhnliches beinhaltet, klang alleine das schon sehr besonders und
vielversprechend, vor allem im Zusammenhang mit dieser sehr speziellen Band. Und diese vorfreudige und gespannte Erwartungshaltung wurde alles andere als enttäuscht. Es sollte in der Tat ein
ganz wunderbarer Abend werden.
So wie
dieser Band aus Island überhaupt so ein ganz eigener Zauber innewohnt und umgibt. Schwer vergleichbar sind sie und schon gar nicht in eine bestimmte Kategorie zu verpacken. Einfach nur mal
ein Wort dazu: Einzigartig.
Und das in vielerlei Hinsicht…
Island hat nicht nur mittlerweile ein (Wikinger-)starkes Fußballteam und sehr originelle Fans, wie wir seit den begeisternden Auftritten bei der letzten Euro und aktuell erstmaliger WM Qualifikation nur allzu gut wissen, sondern schon immer auch eine sehr aktive und kreative Musikszene, aus der immer wieder besondere Bands und Musikperlen hervorgehen. Allen voran die eigenwillige, wie großartige Ikone und Künstlerin Björk, das bekannteste Aushängeschild.
Von dieser kleinen verträumten Insel im hohen Norden Europas, mit dem ganz speziellen Klima und Lichtverhältnissen, wo warmes Wasser aus dem Boden sprudelt als wäre es das Normalste der Welt, Land und Leute sehr besonders zu sein scheinen, atemberaubende Naturschauspiele zu beobachten sind, die Uhren vermeintlich anders gehen und alle, die mal da auf Besuch waren, nur mehr begeistert schwärmen von diesem nur scheinbar rauhen, Insel-Land, wenn sie davon zurückkehren.
Möglicherweise gerade deshalb der ideale Boden für ungewöhnliche Musik. So wie auch von dieser 1994 in der Hauptstadt Reykjavik gegründeten Band, die im gleichen Jahr der Geburt nach dem Namen der kleinen Schwester von Sänger Jonsi Birgisson benannt wurde, was so viel wie „siegende Rose“ bedeutet. Eine dieser wundervollen kleinen Besonderheiten, die jeden Bewunderer dieser künstlerischen Isländer ob dieser schönen romantischen Details verzücken läßt. So wie auch die Tatsache, dass viele Lieder in einer eigenen, frei erfundenen Phantasie- Sprache besungen werden, damit die Texte noch besser mit den verschiedenen Klängen und Melodien harmonieren und ineinander verschmelzen. Und diese auch noch „vonlenska“ zu nennen, was übersetzt „Hoffnungsländisch“ heißt. Wie schön ist denn das? Grandios. Auf solche Ideen muß man mal kommen. Und dann auch noch so konsequent durchziehen. Hohe Kunst. Beziehungsweise noch besser ausgedrückt: wie im Märchen. Einzigartig.
Überhaupt sind die Songs teilweise so getragen, elegisch sanft und melodisch, daß man versucht ist sie in manchen Momenten als Kinder- oder Einschlaflieder für Erwachsene zu bezeichnen. Und das ist durchaus und nur positiv gemeint. Auf der anderen Seite entsteht aber auch ein sehr dunkler, düsterer und schwermütiger Eindruck…in jedem Fall sehr verspielt, verträumt und melancholisch. Als „Slow Motion Rock“ bezeichnen sie sich selber. Auch diese interessanten Gegensätze machen diese Band und ihre Musik so….einzigartig.
Die symphonischen und teilweise schon fast orchestralen Lieder werden von dem sehr hellen und hohen Falsett der zuweilen Elfen-ähnlichen, traumhaften Gesangskunst von Mastermind Jonsi getragen und bestimmt. Dazu viele unterschiedliche, meist sehr sanfte Töne, erzeugt durch Streicher, Piano, Synthesizer. Doch dann schneiden auch immer wieder unvermutet laute Gitarren in den Song, durchdringen den stillen Frieden und erheben sich gemeinsam mit dem beinahe bedrohlich trommelnden Schlagzeug mit keltischen Paukenschlägen, zu einem gewaltigen und druckvollen Wall of Sound, der wie eine Lawine den Berg runter donnert. Um gleich im nächsten Moment wieder ganz leise und ruhig zu werden… Manchmal kommen diese plötzlichen Wendungen, wie aus heiterem Himmel, der sich schnell verdunkelt, dann wiederum schweben die Lieder einfach nur so in Überlänge dahin. Oder es sind nur mehr die langgezogenen Vokale und Laute des Sängers zu hören, wie beispielsweise ein minutenlanges, endlos in die Länge gezogenes und immer wiederkehrendes „Yuhuuuuuuuuuu….“, das wie ein Wehklagen, aber niemals wehleidig klingt. Zudem sehr beeindruckend wie lange dieser Ausnahmekünstler einen Ton halten kann, ohne dabei Luft zu holen. Einzigartig.
Ähnlich ergeht es dem Publikum, das zwischendurch mit diesem ohren- und sinne-betäubenden, lauten, fordernden und durchdringenden Sound aus den Träumereien gerissen wird, um im Handumdrehen wieder „mucks-mäuschen“ still da zu stehen und gebannt zu lauschen, paralysiert oder tief bewegt mitschwingend. Das geht sogar so weit, dass ein paar redselige Leute von anderen Konzertbesuchern schief angesehen oder gar höflich um Ruhe gebeten werden…und es handelt sich bei diesen Schilderungen immer noch um ein Rockkonzert. Sehr ungewöhnlich das alles, so wie diese Band. Einzigartig.
Die einzelnen Songs für sich stehen nicht so im Vordergrund, lassen sich zum Teil auch gar nicht immer so einfach auseinander halten. Schon gar nicht über die eigenwilligen, weder verständlichen noch merkbaren, schwierigen Titel. Ein klassischer Song Aufbau bzw. Struktur sind auch kaum zu erkennen, Refrains eher Mangelware. Auch wenn es einige großartige bekanntere Nummern gibt (Hoppipolla oder Staralfur, die an dem Abend gar nicht mal dargeboten werden, und auch dies überraschenderweise gar nicht so schmerzt), so stehen doch insgesamt die Musik, die Klänge sowie Atmosphäre und Stimmung, die diese erzeugt, klar im Vordergrund. Da kann es auch schon passieren, daß man gar nicht gleich merkt, wann ein Song zu Ende geht und der Nächste begonnen hat, es fließt einfach…wie ein Fluss…oder ein Meer auf Reisen…
Im Gesamteindruck sehr mystisch und geheimnisvoll. Eine einzige Abenteuer Reise. Man fühlt sich an einen anderen Ort, in andere vergangene Zeiten versetzt. In kriegerische Szenarien aus lange zurück liegenden Epochen und dann wieder in den Märchenwald, in dem die Elfen, Feen und Zauberwesen wohnen. All das steckt da drinnen. Faszinierend. Berührend. Einzigartig.
In diesen Momenten ist man auch angenehm erinnert an den wunderbaren Dokumentarfilm „Heima“ zu denken, der die Band bei einer sehr ungewöhnlichen Auftrittsreihe an diversen verschiedenen Orten in deren Heimat begleitet und außergewöhnliche Eindrücke vermittelt. Fans, Wegbegleiter und die Band selber kommen dabei zu Wort, während zwischendurch Ausschnitte von intimen Konzerten an sehr besonderen Plätzen wie in Gärten, Scheunen, auf Wiesen, Feldern oder Bergen, eingespielt werden. Sehr naturverbunden und natürlich. Ganze Familien mit Kindern, Groß und Klein, laufen währenddessen in den warmen Strickpullovern herum und haben einfach eine gute Zeit mit dieser, ihrer so ureigenen und heimatlichen Musik. Dort muss die Welt wirklich noch in Ordnung sein.
Wie
kann dieses Phänomen live in die kalte Halle gebracht werden und funktionieren? Es kann tatsächlich. Reduziert, aber doch sehr beeindruckend und fesselnd die Darbietung. Nur drei Musiker auf
der Bühne, kaum Bewegung und trotzdem eine so starke Präsenz. Jonsi bespielt seine Gitarre mit einem Cello- Bogen. Auch das- Seltenheitswert.
Das Bühnenbild ist relativ einfach gehalten, aber mit außergewöhnlichen Lichteffekten, ganz kräftigen, mal grellen, dann wiederum warmen Farben, traumhaften dreidimensionalen Muster, Symbolen
oder einfachen Landschaftsbildern, erzeugt durch einen unsichtbar scheinenden LED Vorhang der quer durch die Mitte der Bühne verläuft. Stark. Stark in der Wirkung. Perfekt abgestimmt mit
Sound und Stimmung. So ähnlich muss es bei Coldplays aufwändiger Lichtshow gewesen sein, wenn auch hier der Aufwand und Kosten um ein zigfaches geringer ausgefallen sein müssen. Sigur Ros
eben. Understatement mit großem Effekt. Einzigartig.
Der Sound ist überraschend und wohltuend zufrieden stellend, dicht, klar und relativ rein. Sowohl was die Instrumente als auch die hohen Stimmlagen betrifft. Der Tontechniker scheint sein Handwerk zu verstehen und hat mit den nicht immer leichten Gegebenheiten im Gasometer nicht nur den Kampf aufgenommen, sondern anscheinend auch für sich entschieden. Ein echtes Klang- und Sound-Erlebnis.
Zwischendurch wird eine minutenlange Pause wie bei klassischen Konzerten und oder im Theater eingeschoben. Kunst. Oder gegen jede Konvention. Gesprochen wird so gut wie nichts. Außer dem Bassisten, der sich einmal, so emotionslos wie man nur sein kann, zu einem lupenreinen isländischen Statement hinreißen lässt. Dass dieses außer den Bandkollegen und vielleicht ein paar Roadies, sonst wohl keiner im großen Raum wirklich zu verstehen mag, scheint ihn relativ wenig zu kratzen. Auch werden keine Zugaben gegeben. Wieder ungewöhnlich. Stattdessen gibt es danach minutenlange enthusiastische Ovationen. Man spürt die echte und ehrliche Bewunderung, Zuneigung und Verneigung vor dieser Band. Und es gab schon weit wildere Konzerte, bei denen viel weniger Stimmung aufkommen wollte. Wer diese Band mag, schätzt und verehrt sie wohl auch aus tiefstem Herzen. Das spürt man einfach.
„Takk“
steht abschließend auf der hinteren Projektionsfläche in grell leuchtender weißer Schrift, dessen Übersetzung unschwer zu erraten ist. Die Band bedankt sich für die Aufmerksamkeit. Die
Zuseher erwidern dies aus genau demselben Grund. Dankbarkeit für die geschaffene Aufmerksamkeit und Sensibilisierung, für etwas Besonderes- und das war es, das sind sie, wahrlich…und ein
letztes Mal: Einzigartig.
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